Nach meinem Zusammenbruch überwies mich mein Hausarzt zu einer Psychiaterin, da mein Zustand immer schlimmer wurde. Der Termin bei ihr war für mich ein entscheidender Wendepunkt, denn dort wurden mir zum ersten Mal die Diagnosen mittelgradige bis schwere Depression, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sowie Angst- und Panikattacken gestellt.

Schon als ich das Zimmer betrat, schien die Ärztin meinen Zustand förmlich zu spüren. Meine Haltung war eingefallen, mein Gesicht von Müdigkeit und Erschöpfung gezeichnet. Meine Bewegungen waren zögerlich und unruhig. Selbst das Sprechen fiel mir schwer. Die Tränen kamen immer wieder, meine Stimme zitterte, brach ab und an einfach weg, als ob mir die Kraft fehlte, die Worte auszusprechen. Ich musste mich ständig räuspern, um überhaupt einen klaren Ton herauszubringen. Das allein verriet schon so viel über mein inneres Chaos.
Trotz der Unsicherheit und des emotionalen Drucks gelang es mir, ihr meine tiefsten Gedanken und Gefühle zu schildern. Ich sprach über den schmerzlichen Verlust meines Kindes, der mein Leben erschüttert hatte. Der Suizid meines Sohnes war ein unfassbarer Einschnitt, und ich hatte bis dahin nie wirklich die Möglichkeit gefunden, diesen Schmerz zu verarbeiten. Meine Kindheit und mein Elternhaus spielten ebenfalls eine große Rolle. Die toxischen Beziehungen, besonders zu meinem narzisstischen Vater, hatten tiefe Narben hinterlassen und ich fühlte, dass all das, was ich über die Jahre in mir angestaut hatte, mich innerlich zermürbte.
Es war, als würde ich mein Leben in einzelne Fragmente zerbrechen und jedes einzelne auf den Tisch legen. Mein Arbeitsleben, das mich oft überforderte, und mein privates Umfeld, in dem ich immer mehr das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, kamen zur Sprache. Ich schilderte meine Hilflosigkeit, die ständige Traurigkeit und Leere, die mich umgab. Meine Gefühlswelt schien völlig abgestorben – als ob ich gar keine echten Emotionen mehr empfinden konnte. Alles, was ich fühlte, war eine bedrückende, lähmende Erschöpfung, verursacht durch die andauernden Schlafstörungen, die mich um den Schlaf brachten. Diese tiefe Müdigkeit raubte mir jede Lust, irgendetwas zu unternehmen oder auch nur Menschen um mich zu haben. Ich zog mich immer mehr zurück und isolierte mich.
Während ich sprach, wurde mir immer klarer, wie sehr ich in all diesen dunklen Emotionen gefangen war. Meine Psychiaterin hörte geduldig zu, stellte gezielte Fragen und half mir, alles in Worte zu fassen, was mich innerlich so sehr zerbrach. Am Ende des Gesprächs standen die Diagnosen fest: eine mittelgradige bis schwere Depression, PTBS sowie die schon seit Jahren anhaltenden Angst- und Panikattacken.
Es war nicht leicht für mich, diese Diagnosen anzunehmen. Im ersten Moment fühlte ich mich fast überfordert, als würde mir mit einem Mal der gesamte Berg meiner unerkannten Probleme vor Augen geführt. Doch tief in mir wusste ich, dass diese Depressionen nicht neu waren. Sie hatten sich über die Jahre hinweg in meinem Leben eingenistet, ausgelöst durch all das, was ich durchgemacht hatte. Die Trauer, die emotionalen Verletzungen und die unerträgliche Einsamkeit in meinem Inneren – all das hatte ich lange mit mir herumgetragen, ohne dass jemals ein Arzt es wirklich diagnostiziert hatte.
Dieser Termin war der Moment, in dem alles benannt wurde und das brachte mich näher an die Realität meines Zustandes. Doch es bedeutete auch den Beginn einer schmerzhaften, aber notwendigen Reise, auf der ich lernen musste, mit all diesen Diagnosen umzugehen und sie als Teil meiner Geschichte zu akzeptieren.

Die Auswirkungen der Depression auf mein tägliches Leben sind tiefgreifend und erschütternd. Jeder Tag beginnt mit einem überwältigenden Gefühl der Erschöpfung. Die Schlafstörungen, die mich in der Nacht quälen – sei es das ständige Aufwachen oder die Unfähigkeit, überhaupt einzuschlafen – lassen mich jeden Morgen wie erschlagen zurück. Ich fühle mich, als hätte ich keinen einzigen Moment wirklichen Schlafs erlebt. Die Müdigkeit durchdringt meinen ganzen Körper und Geist und schon der bloße Gedanke, das Bett zu verlassen, fühlt sich wie eine unüberwindbare Hürde an. Es ist, als würde mich eine unsichtbare Last niederdrücken, die mich festhält und mir jeglichen Antrieb raubt.
Der Weg zur Arbeit wird zu einer täglichen Herausforderung. Die Müdigkeit ist mein ständiger Begleiter und es ist schwer, sich zu konzentrieren oder gar den Tag strukturiert zu bewältigen. Das Gefühl von Erholung kenne ich nicht mehr und die Auswirkungen davon durchziehen meinen gesamten Alltag. Meine Konzentration leidet erheblich. An manchen Tagen ist meine Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt und selbst einfache Aufgaben erscheinen überwältigend. Gesprächen gezielt zu folgen, Informationen länger zu behalten – all das fällt mir unendlich schwer. Es fühlt sich an, als wäre mein Gehirn in Watte gehüllt, unfähig, klar zu denken.
Dieser Zustand führt zu einem enormen inneren Druck, denn trotz all dieser Einschränkungen gibt es immer noch Anforderungen, die ich täglich erfüllen muss – im Job, im Alltag, überall. Dieser Druck erzeugt Stress und mit dem Stress kommen die körperlichen Beschwerden: Herzrasen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen – und oft noch viel mehr. Manchmal ist es eine Kleinigkeit, ein winziger Zwischenfall, der mich völlig aus der Bahn wirft. In solchen Momenten fühle ich mich unglaublich verletzlich und leicht angegriffen. Meine Reaktionen sind dann oft überzogen, gereizt und sensibel. Ich weiß, dass ich so nicht reagieren möchte, aber es ist, als hätte ich meine Gefühle nicht mehr im Griff. Sie überrollen mich und hinterlassen ein Gefühl der Hilflosigkeit.
Besonders quälend ist die innere Unruhe. Nach außen wirke ich vielleicht ruhig, vielleicht sogar entspannt. Doch im Inneren herrscht pures Chaos. Mein Kopf ist voller Gedanken, die ich nicht ordnen kann, voller Emotionen, die ich nicht verstehe. Dieses innere Durcheinander laugt mich aus, als würde ein endloser Sturm in mir toben, während ich nach außen hin versuche, die Fassade aufrechtzuerhalten.
Aber woher kommt all das? Die Ursachen meiner Depression sind tief in meiner Vergangenheit verwurzelt. Studien zeigen, dass sensible und verletzliche Menschen oft anfälliger für seelische Störungen sind. In meinem Fall haben die Erfahrungen, die ich im Laufe meines Lebens gemacht habe, einen erheblichen Einfluss gehabt. Traumatische Erlebnisse, wie der Missbrauch, den ich in meiner Kindheit erfahren habe und mein narzisstischer Vater, haben mich bereits als Kind stark geprägt. Schon damals habe ich gelernt, belastende Situationen in mir zu behalten, eine Überlebensstrategie, die mich von klein auf begleitete. Doch diese inneren Wunden haben mit der Zeit zu einem emotionalen Riss geführt, der sich immer weiter vertiefte.
Im Laufe meines Lebens kamen weitere belastende Erfahrungen hinzu. Ich führte toxische Beziehungen, die mein ohnehin schon angegriffenes emotionales Gleichgewicht weiter zerstörten. Diese Beziehungen waren wie Gift für meine Seele und fütterten meine Anfälligkeit für Depressionen. Und dann, als ich glaubte, dass es nicht schlimmer werden könnte, kam der Suizid meines Sohnes. Dieser unvorstellbare Verlust war der endgültige Auslöser, der mein inneres Gleichgewicht vollkommen zerstörte. Es war einfach zu viel für mich. Alles, was ich bis dahin in mir vergraben und unterdrückt hatte, brach wie ein gewaltiger Damm.
Das Tückische an Depressionen ist, dass sie sich schleichend und unvorhersehbar entwickeln. An einem Tag fühlt man sich halbwegs in Ordnung und am nächsten Tag scheint nichts mehr zu funktionieren. Es gibt kein Muster, keine Vorwarnung. Leider sieht man diese Krankheit den Betroffenen nicht an. Oft fehlt im privaten und beruflichen Umfeld das Verständnis für psychische Störungen, weil sie unsichtbar sind. Die Tatsache, dass man äußerlich "normal" wirkt, macht es für viele schwer, nachzuvollziehen, was in einem wirklich vorgeht.
Für mich ist jeder Tag eine neue Herausforderung. Jede noch so kleine Kleinigkeit kann einen neuen Schub auslösen und dann beginnt der Kampf von vorne. Es ist ein unaufhörlicher Kreislauf aus Dunkelheit und Licht, aus Hoffnung und Verzweiflung. Aber trotz allem, was passiert ist, versuche ich, mich jeden Tag aufs Neue dieser Herausforderung zu stellen, so schwer es auch ist.
